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HUNDEG_LSA_BISSIGKEIT_ABWEHRVERHALTEN_BESCHLUSS_OVG_LSA_3_M_46/20

 

Mit dem Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 3 M 46/20 vom 09.07.2020 versucht das OVG Magdeburg nach Änderung des § 3/III Nr. 2 HundeG LSA durch Art. 1 des Gesetzes vom 27. Oktober 2015, die neue Definition des Vorfallhundes in den Leitsätzen zu beschreiben:

 

„Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes; Bissigkeit; Abwehrverhalten

 

Leitsatz

  1.   Zur Feststellung der Gefährlichkeit eines sich als bissig erwiesenen Hundes.(Rn.5)
  2.  2. Dem Verhalten des verletzten Hundes oder dessen Führers kommt für die behördlich zu prüfende Gefährlichkeitsfeststellung allein       dann eine       tatbestandsausschließende Wirkung zu, wenn es als gezielter Angriff zu werten ist, die erlittene (nicht nur geringfügige)       Verletzung als Folge eines eindeutig artgerechten Verteidigungs- oder Abwehrverhaltens des Hundes ist, der gebissen hat.(Rn.13)“

 

vgl. Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 3. Senat 09.07.2020 3 M 46/20

 

Der Autor ist der Meinung, dass diese Tatbestandsbeschreibung der Ausschlusselemente (Entschuldigungsgründe) zu eng ist. Im Gesetz ist mit der Sanktion von Hunden, die einen anderen Hund trotz dessen offensichtlich erkennbarer artüblicher Unterwerfungsgestik gebissen haben, auf das instinktgeleitete Verfahren der Hunde zur Klärung der Rangordnung hingewiesen. In der Erläuterung zum Gesetzesentwurf wird erklärt, dass die Behörde anders als bisher die möglichen Ursachen einer Beißerei zu erforschen hat und gegebenenfalls die Zuziehung eines Tierarztes mit kynologischen bzw. ethologischen Kenntnissen zielführend wäre. Mithin wollte der Gesetzgeber Beißen im Rahmen sozialverträglichen Verhaltens von der Gefährlichkeitsfeststellung ausnehmen. 

 

Dies ist im Übrigen vernünftig. Gefahren durch Hunde lassen sich nur durch Verstehen des Hundeverhaltens vermeiden. Es ist gefährlich und oft gerade Ursache eines Unfalls, wenn der Halter allein von seiner Vorstellung bzw. Angst ausgeht und bspw. seinen Hund während eines Verfahrens zur Klärung der Rangordnung, wie im vorliegenden Fall wohl geschehen, hochhebt. 

 

Definiert ist die Beurteilung der Gefährlichkeit eines Hundes auf Grund eines Vorfalls (Beißen) in § 3/III Nr. 2 HundeG LSA, der im Oktober 2015 neu gefasst wurde. 

 

 

  1. Die Bissigkeit des Vorfallhundes bei Auslegung § 3/III Nr. 2 HundeG LSA

     

    In der Entscheidung ist, wie im 2. Leitsatz zu lesen ist, als Ausschlussgrund die erste Alternative von § 3/III Nr. 2 HundeG LSA beschrieben:

     

    Im Einzelfall gefährliche Hunde sind insbesondere:

     

    Hunde, die sich als bissig erwiesen und eine nicht nur geringfügige Verletzung verursacht haben, ohne selbst angegriffen worden zu sein,

     

    Als Entschuldigung für das Beißen zählt demnach nur die Verteidigung gegen einen „gezielten“ Angriff, wie das Gericht ausführt.

     

    In der wörtlichen Auslegung wird nicht die zweite Alternative des § 3/III Nr. 2 HundeG LSA berücksichtigt:

     

    „Hunde, die sich als bissig erwiesen und eine nicht nur geringfügige Verletzung verursacht haben, ohne selbst angegriffen worden zu sein, oder die einen anderen Hund trotz dessen offensichtlich erkennbarer artüblicher Unterwerfungsgestik gebissen und nicht nur geringfügig verletzthaben,“

     

    Es ist stets davon auszugehen, dass der Gesetzgeber ein Gesetz formuliert mit einem gewissen Sinn. Was ist aber der Sinn der zweiten Alternative?

     

    Diese zweite Alternative ist bei wörtlichem Verständnis überflüssig, da ein Hund, der den anderen Hund trotz dessen artüblicher Unterwerfungsgestik (sich auf den Rücken legen, Bloßlegen des Halses u. ä.) beißt, offensichtlich nicht zur Verteidigung handelt, also schon von der ersten Alternative erfasst ist.

     

    Das in der zweiten Alternative beschriebene Verhalten ist als eklatanter Verstoß gegen das artübliche Verhalten zur Klärung der Rangordnung zu verstehen. Bei diesem Verfahren kommt es kurz zu einer Auseinandersetzung zwischen den Hunden. Hierbei wird nicht nur ein Drohverhalten mit Knurren eingesetzt, sondern es kann auch zu einer kurzen Rauferei mit Beißen kommen. Ein solches Verhalten ist weder aggressiv noch gefährlich, auch wenn Sachunkundige Menschen und leider auch noch eine Vielzahl Hundehalter dies missverstehen und dazwischengehen oder sogar den Hund hochheben, wie in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall.

     

    Ein eigenständiger Sinn dieser zweiten Alternative ergibt sich ohne weiteres, wenn dieses instinktive Rangordnungsverfahren der Hunde (Drohen, Knurren, Raufen auch mit Beißen) aus der Gefährlichkeitsbetrachtung ausgeklammert wird. Dann macht diese Alternative ganz offenkundig Sinn: Das Klären der Rangordnung (Drohen, Knurren, Raufen auch mit Beißen) wird nicht als Beleg für Gefährlichkeit gewertet, außer der überlegene Hund beißt den unterlegenen Hund erheblich trotz dessen Unterwerfungsgestik! In diesem Fall besteht tatsächlich ein ernst zu nehmendes Problem. Ein solcher Hund zeigt Anzeichen sozialer Unverträglichkeit und kann eine Gefahr darstellen.




  2.  Auslegung unter Berücksichtigung der Entstehung des Gesetzes


    Die Begründung des Gesetzesentwurfs, vgl. Drucksache 6/4359 Landtag Sachsen-Anhalt, unterstützt obige Auslegung. Auf Seite 19 ist der Sinn der Gesetzesänderung beschrieben:

    „Neufassung des Regelbeispiels Satz 1 Nr. 2: Die Neufassung des Regelbeispiels zur „Bissigkeit“ … soll … bei der Prüfung der Bissigkeit solche Vorfälle vom Anwendungsbereich des Regelbeispiels des § 3 Abs. 3 Nr. 2 ausnehmen, bei denen der Biss offensichtlich zum Zwecke der Verteidigung oder aufgrund einer Provokation des Hundes erfolgte. Denn nach Auffassung einer Vielzahl von Stellungnahmen und Erfahrungsberichten soll den Behörden ein Spielraum bei der Beurteilung von konkreten Vorfällen im jeweiligen Einzelfall eröffnet werden, um so zu ermöglichen, dass solche Fälle von einer gebotenen Gefährlichkeitsfeststellung ausgenommen werden können, bei denen der „Ausnahmefall“ eines eindeutig artgerechten Verteidigungs- oder Abwehrverhaltens vorliege.“

     

    Der Gesetzgeber spricht von einem „eindeutig artgerechten Verteidigungs- oder Abwehrverhalten“. Maßgeblich ist also die Beurteilung der vergleichenden Verhaltensforschung Ethologie bzw. der Kynologie (Hundekunde). Demzufolge ist auch aus ethologischer Sicht zu beurteilen, was unter einem „gezielten Angriff“, wie das Gericht formuliert, zu verstehen ist.

     

    Im Rangordungsverfahren legt sich der unterlegene Hund auf den Rücken. Durch das Hochheben des Hundes erhöht sich dieser über den in der Rangordnung höher Stehenden. Dies kann als Angriff auf die Rangordnung angesehen werden und ist demzufolge aus ethologischer Sicht ein „gezielter Angriff.

     

    In dem Beschluss wird unter Rand-Nr. 13 ausgeführt, dass ein Mitverschulden des Führers des verletzten Hundes die Gefährlichkeitsfeststellung nicht ausschließt, es sei denn, angesichts dieses Verhaltens stelle sich das Beißen des Hundes als artgerechtes Verteidigungs- oder Abwehrverhalten dar. Das Hochheben wird nicht als Angriff gewertet, sondern als unabsichtlich provozierende oder möglicherweise herausfordernde Alltagssituation. Dem sind die ethologische Beurteilung des Rangordnungsverfahrens und die ausdrückliche Erwähnung dieses Verfahrens im Gesetz entgegenzuhalten.

     

    Der Hund ist ein soziales Lebewesen. Der Frieden innerhalb der Hundegesellschaft und damit die Abwehr der Gefahr, von stärkeren Hunden verletzt oder getötet zu werden, wird im Konfliktfall durch die Klärung der Rangordnung erreicht. Der unterlegene Hund gibt auf, worauf der stärkere Hund instinktiv gehemmt wird, weiterzukämpfen.

     

    Wie oben unter A2 ausgeführt wurde, wurde vom Gesetzgeber gerade dieses Rangordnugsverfahren zur Beurteilung der Gefährlichkeit herangezogen.

     

    In dem Beschluss wird unter Rand-Nr. 15 ausgeführt, dass die Ordnungsbehörde nicht zu einer weitergehenden Aufklärung des Sachverhaltes verpflichtet ist.

     

    In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird ausgeführt:

     

    „Die Änderung in § 3 Abs. 3 Nr. 2 (mit den Auswirkungen auf § 4 Abs. 4) wird zwar – anders als nach geltender Rechtslage – dazu führen, dass die Behörde im Rahmen der Sachverhaltsermittlung auch die mögliche Ursache einer Beißerei zu erforschen hat und sich ggf. selbst ein Bild von dem einzuschätzenden Hund machen muss (vgl. auch S. 125 f. und Anlage 4 des EB). Auch aus Gründen der Vermeidung einer Übertragung einer (neuen) Aufgabe auf die Landkreisebene wird jedoch auf eine gesetzliche Einbeziehung der Amtstierärzte verzichtet, zumal bei Zweifelsfällen zur Begutachtung des Vorfalls nicht zwingend ein Amtstierarzt notwendig ist, sondern die Hinzuziehung eines mit ethologischen bzw. kynologischen Kenntnissen ausgestatteten praktizierenden Tierarztes oder eines anerkannten Sachverständigen für den Wesenstest zielführender wäre.“

     

    Mithin ist die Behörde gehalten mögliche Ursachen einer Beißerei zu ermitteln. In Zweifelsfällen ist ein Fachmann mit ethologischen bzw. kynologischen Kenntnissen hinzuzuziehen. Der springende Punkt dürfte vorliegend sein, dass Juristen den Zweifelsfall ausschließen und so keine Notwendigkeit sehen, einen ethologischen Fachmann hinzuzuziehen.

    Josef Fassl,

    Rechtsanwalt                                                                                              Magdeburg 04.03.2021

 

Fassl Josef

 

 

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